Die Fäden, aus denen unsere Welt gewoben ist

Für ein besseres Verständnis für die Eigenarten und Unterschiede verschiedener Persönlichkeitsstrukturen wurden über die letzten Jahrtausende hinweg verschiedene weltanschauliche und psychologische Typologien entwickelt. Beispiele hierfür sind die Astrologie, die Numerologie, das Enneagramm, Human Design oder die Big Five.

Sie alle können uns sehr interessante und wertvolle Hinweise auf unsere individuellen Talente, Stärken und Schwächen geben, manche auch auf unsere Entwicklungsaufgaben und Schicksalswege.

Neben diesen gibt es aber auch Typologien, in denen Persönlichkeitstypen in Verbindung mit Naturelementen gebracht wurden. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die antike Vier-Elementen-Lehre, die postuliert, dass Menschen unterschiedliche Temperamente und körperliche Konstitutionen aufweisen, je nachdem, welches der vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde in ihnen dominant repräsentiert ist.

In diesem Artikel möchte ich dir nun ein Konzept aus der indischen Samkhya Philosophie vorstellen, die uns erklärt, dass die gesamte von uns wahrnehmbare äußere und innere Welt von drei Qualitäten gebildet wird. Diese drei Qualitäten, auch Gunas genannt, sind (1.) Sattva (2.) Rajas und (3.) Tamas.

Dieser wahrnehmbaren Welt steht das wahrnehmende universelle Bewusstsein als Subjekt jeglicher Erfahrung gegenüber. Bewusstsein nimmt die Welt dabei durch die Sinne aller Lebewesen wahr, bleibt selbst aber unsichtbar im Hintergrund. Bewusstsein ist somit der stille Zuschauer oder Zeuge aller Wahrnehmungen. Es ist unser aller Essenz, befindet sich jenseits der Gunas und wird von diesen nicht beeinflusst. Es nimmt sie nur wahr.

Die wahrnehmbare äußere Welt der Materie sowie die innere Welt der Gedanken, Gefühle, Empfindungen, Wahrnehmungen, sowie die Persönlichkeitsstrukturen der Menschen, bestehen allesamt aus unterschiedlichen Kombinationen und Anteilen der drei Gunas.

Interessant ist nun, welche Eigenschaften den drei Gunas zugeschrieben werden.

1.Sattva

Sattva ist mit dem Element Luft assoziiert. Es reflektiert die Qualitäten des universellen Bewusstseins wie ein blank polierter Spiegel. So steht es für Harmonie, Reinheit, Transparenz, Klarheit, Leichtigkeit und alles Lichte. Zudem repräsentiert es das Gleichgewicht zwischen Aktivität und Trägheit. Im psychologischen Bereich steht Sattva für höhere Emotionen wie Glück, Frieden, Liebe, Ausgeglichenheit, Freude, Zufriedenheit, Güte, Fürsorge, Nächstenliebe oder Selbstlosigkeit. Sattva entspricht einem hohen Energielevel. Unter dem Einfluss von Sattva ist es leicht, sich zu konzentrieren, zu meditieren und die Wahrheit über die eigene essenzielle Natur zu erkennen. Das höchste Bedürfnis einer sattvigen Person besteht darin, zu Diensten zu sein und dadurch zum Wahren, Schönen und Guten in der Welt beizutragen.

2. Rajas

Rajas ist mit den Elementen Wasser und Feuer assoziiert. Es reflektiert die Qualitäten des universellen Bewusstseins wie ein zerbrochener Spiegel, der das Licht nur teilweise klar wiedergibt, aber es auch teilweise schluckt und in verschiedene Richtungen streut.  Dem entsprechend repräsentiert Rajas Bewegung, Aktivität, Wandlung, Veränderung, Hitze und ist in allen Lebewesen anzutreffen. Es ist die Hauptkomponente des menschlichen Denkens. Im psychologischen Bereich steht es für Qualitäten wie Unruhe, Getriebenheit, Rastlosigkeit, Erregung, Ehrgeiz, Begeisterung, Leidenschaft, Egoismus und Aggressivität. Rajas entspricht einem mittleren Energielevel. Wenn Rajas in einem Menschen dominant ist, sucht dieser das Glück in Objekten, Beziehungen oder Erfahrungen. Unter dem Einfluss von Rajas ist es schwierig, sich zu konzentrieren und zu meditieren. Zudem zieht man oft Schlussfolgerungen über sich und die Welt, die nur teilweise zutreffen. Das höchste Ziel einer rajasigen Person besteht darin, weltliche Anerkennung zu erlangen, Erfolge zu sammeln, materielle Güter anzuhäufen und sich die eigenen Wünsche zu erfüllen.

3. Tamas

Tamas ist mit dem Element Erde assoziiert. Es reflektiert die Qualitäten des universellen Bewusstseins wie ein verdreckter Spiegel, der jegliches Licht schluckt. Dem gemäß repräsentiert es Dunkelheit, Trägheit, Schwere und Unveränderlichkeit. Damit bildet es die Hauptkomponente des menschlichen Körpers sowie jeglicher unbelebten Materie. Im Alltag ist Tamas für einen gesunden Schlaf unverzichtbar und notwendig. Im psychologischen Bereich repräsentiert Tamas Qualitäten wie Faulheit, Antriebslosigkeit, Unwissenheit, Ignoranz, Verwirrung, Täuschung, Verdrängung und Depression. Somit kennzeichnet es jeglichen Widerstand gegen das Leben, Apathie, negative Emotionen und Versagen. Tamas entspricht damit einem niedrigen Energielevel. Unter dem Einfluss von Tamas kann man sich weder konzentrieren noch meditieren. Man reagiert nur auf Basis der eigenen Konditionierungen, kann die Wahrheit nicht verstehen und interessiert sich auch nicht wirklich dafür. Was eine tamasige Person stattdessen wirklich motiviert, ist, ohne viel Anstrengung zu überleben, gut zu essen, Drogen konsumieren zu können und Sex.

.

Nun ist es so, dass jedes Guna in der Schöpfung seine eigene Aufgabe und Notwendigkeit hat. Allerdings kann auch jedes Guna Probleme verursachen. Gemeinsam bilden sie den Stoff, aus dem die Gesetzmäßigkeiten der Natur, die Dramen des Lebens und auch die individuellen Persönlichkeiten und Schicksale der Menschen gewoben sind.

Das jeweilige Verhältnis, in dem Tamas, Rajas und Sattva in unserer Persönlichkeit vorliegen, prägt sowohl unsere Werte als auch unseren Charakter. Die Gunas funktionieren dabei wie unterschiedliche Filter, aufgrund derer wir Informationen sowie die Ereignisse des Lebens jeweils anders deuten.

Wenn wir wissen, welches Guna in einer Person dominant ist, können wir mit hoher Treffsicherheit schlussfolgern, wie glücklich, erfolgreich und gelassen diese ist, wie sie sich voraussichtlich verhalten wird und wie sich ihr Leben dementsprechend weiter entwickeln wird.

Glücklicherweise können wir als Menschen Einfluss darauf nehmen, welches Guna in unserer Persönlichkeit gestärkt oder geschwächt wird. Dies ist uns allerdings nur in einem begrenzten Ausmaß möglich. Wieviel wir beeinflussen können, hängt dabei vor allem von unserer individuellen Persönlichkeit ab. Für eine konstruktive und harmonische Persönlichkeitsveränderung benötigen wir auf jeden Fall eine gewisse Menge an sattviger Energie. Die Tatkraft wiederum, die wir brauchen, um die gewünschten Veränderungen umzusetzen, erfordert eine gewisse Menge an rajasiger Energie. Und da Tamas jeglichen Veränderungsprozess aufhält oder verzögert, sollte unsere Persönlichkeit nicht allzu sehr unter dem Einfluss von Tamas stehen.

Grundsätzlich stehen uns allen für das Guna Management zwei Wege offen: (1) die Wahl dessen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, und (2) die bewusste Steuerung unserer Handlungen.

Zu (1) Bei der Wahl dessen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, geht es schlichtweg darum, was wir in unseren Körper und Geist hereinlassen. Da alles was es gibt, jedes Nahrungsmittel, jedes Objekt, jeder Klang, jeder Geruch und jede Berührung eine bestimmte Kombination der Gunas verkörpert, werden wir selbst zu dem werden, was wir in uns aufnehmen.

Zu (2) Bei der bewussten Steuerung unserer Handlungen geht es um bewusste Entscheidungen, das Einüben bestimmter Verhaltensmuster und letztlich um die Formung unseres Charakters.

Wenn wir unsere Persönlichkeit, unsere Gesundheit und unser Schicksal wirklich verändern wollen, tun wir somit auf jeden Fall gut daran, alle internen oder externen Einflussgrößen zu nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Wir müssen schließlich immer damit rechnen, dass unsere tamasigen Persönlichkeitsanteile unsere Vorhaben boykottieren werden.

Grundsätzlich haben wir verschiedene Möglichkeiten, wie wir die Guna-Zusammensetzung unserer Persönlichkeit beeinflussen können. Wichtige Einflussgrößen sind dabei die Nahrungs- und Genussmittel, die wir zu uns nehmen, die Nachrichten und Informationen, die wir in uns aufnehmen, die Art der Musik, der Filme, Bücher und anderen Medien, die wir konsumieren, die Art der Menschen, mit denen wir uns umgeben, die Art der Kontakte, die wir pflegen, die Beschäftigungen, mit denen wir unsere Zeit verbringen, die Umgebungen, in denen wir uns bewegen und die Art, wie wir unseren Wohnraum gestalten.

Von all diesen Dingen gibt es jeweils tamasige, rajasige und sattvige Varianten.  Grundsätzlich lassen sich tamasische Einflüsse dabei daran erkennen, dass sie uns nicht guttun, uns lähmen, herunterziehen, einschränken, benebeln und in die Irre gehen lassen. Rajasige Einflüsse spornen uns an, erwecken Leidenschaft und Enthusiasmus in uns, bringen uns ins Handeln, erzeugen Visionen und Ziele in uns und bringen uns vorwärts. Sattvige Einflüsse helfen uns dabei, ausgeglichener, gelassener, glücklicher, friedvoller, entspannter, wertschätzenden, dankbarer und präsenter zu werden.

Wenn du mehr über die Gunas und die Möglichkeiten des Guna Managements erfahren möchtest, findest du ausführliche und detaillierte Beschreibungen dazu in meinem Buch „Wege ins Tao“, das ich dir hiermit wärmstens empfehle.

Mit besten Wünschen aus dem frühlingshaften München,

Michael